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Interpellation: Einbürgerungskriterien und Handlungsspielraum für Gemeinden

25.11.2020

 

Vorstossart: Interpellation
Vorstoss-Nr.: I 135
Richtlinienmotion: ---
Behandlung im Stadtrat: 25.03.2021
Eingereicht am: 19.11.2020
Eingereicht von: Rutishauser Roland (SVP)
Mitunterzeichnende: Gabathuler Leander, Baumann Markus, Grob Oliver, Sauter Viktor, Wingeyer Ursula
Beschluss Gemeinderat: 23.02.2021
Aktenzeichen: nid 0.1.6.2 / 4.14
Ressort: Sicherheit
Antrag Gemeinderat: ---

Antrag:

Ich bitte den Gemeinderat, zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

  1. Wie viele Kinder von Sozialhilfebezügern wurden seit 2014 in Nidau eingebürgert?
  2. Hat die Gemeinde Nidau Pläne zur Erstellung eines Einbürgerungsreglements?
  3. Welche Einbürgerungskriterien dürfte die Gemeinde Nidau darin bestimmen, welche über die Bestimmungen von Bund und Kanton hinaus gehen d.h. diese ergänzen oder präzisieren? Ich verlange eine abschliessende Aufzählung aller theoretisch möglichen und zulässigen Kriterien.
  4. Welche sicherheitstechnischen Schritte könnten bei der Behandlung eines Einbürgerungs-gesuchs vorgenommen werden, die über einen Strafregisterauszug hinaus gehen? Beispielsweise eine Rückfrage beim Schweizerischen Nachrichtendienst oder die Einforderung von vergangenen Strafregisterauszügen (verjährte Straftaten)?
  5. Welche interkommunalen Prozesse werden angewendet (und könnten verbessert werden), um Infos zu Personen einzuholen, die erst seit Kurzem in Nidau wohnen und die Mindestaufhaltsdauer in der Gemeinde nur knapp erfüllen (Informationsaustausch bei der/den letzten Wohngemeinde/n der Gesuchsstellenden Person, etwa über auffällig positive/negative Erfahrungen)?


Begründung

Die Berner Stimmberechtigten haben am 24. November 2013 die Volksinitiative «Keine Einbürgerung von Verbrechern und Sozialhilfeempfängern» mit 55.8 Prozent angenommen und die Verfassungsbestimmungen sind seit dem 11. Dezember 2013 in Kraft. Seither können Berner Gemeinden Einbürgerungsgesuche von Personen, die Sozialhilfe bezogen haben (oder Sozialhilfeschulden nicht zurück bezahlt haben) sowie Einbürgerungsgesuche von Kriminellen ablehnen. Seither ist jedoch eine Tendenz feststellbar, dass immer öfters Kinder von Sozialhilfebezügern eingebürgert werden und die Eltern somit einen Landesverweis wegen über-mässigem Sozialhilfebezug abwenden können. Dies entspricht nicht dem Willen des Gesetz-gebers und stellt ein rechtliches “Schlupfloch” dar. Die Gemeindebehörden (in Nidau Gemeinderat und Einbürgerungskommission) haben rechtlich keine andere Wahl, als solche Fälle mit Zähneknirschen abzunicken. Jüngst haben auch Bund und Kantone die Einbürgerungsbestimmungen angepasst, z.B. mit der Einführung eines Sprach- und Einbürgerungstests und der Anpassung der Mindestaufenthaltsdauer. 2018 scheiterte die Überarbeitung eines Einbürgerungsreglements in der Gemeinde Aarberg in der Gemeindeversammlung. Die Gemeinde wollte die sprachlichen und finanziellen Hürden für eine Einbürgerung erhöhen. Ich möchte daher mehr über den Gestaltungsspielraum (z.B. Anforderungen bei der Sprache, Finanzielles, etc.) der Gemeinde Nidau erfahren.

Besten Dank für die Beantwortung meiner Interpellation.

 

Antwort des Gemeinderates

1. Wie viele Kinder von Sozialhilfebezügern wurden seit 2014 in Nidau eingebürgert?

Wie der Gemeinderat bereits in seiner Antwort auf die Interpellation «Einbürgerungen von Kindern von Sozialhilfebezügern» ausführte, welche in der Stadtratssitzung vom 20. September 2018 behandelt wurde, ist die Anzahl nicht bekannt, weil sie aus rechtlichen Gründen nicht erhoben werden darf. Die Stadt Nidau ist nur befugt, Informationen über die gesuchstellenden Personen einzuholen, wenn sie auch zur Beurteilung der in diesem Fall anwendbaren materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen dienen.

Wie der Interpellant richtig schreibt, wird nach Art. 7 Abs. 3 Bst. b der bernischen Kantonsverfassung (KV) nicht eingebürgert, wer Leistungen der Sozialhilfe bezieht oder bezogene Leistungen nicht vollumfänglich zurückbezahlt hat. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in Art. 7 Abs. 3 der eidgenössischen Bürgerrechtsverordnung (BüV). Das Kantonale Bürgerrechtsgesetz (KBüG) Art. 12 Abs. 1 Bst. c grenzt zudem den Zeitraum auf die letzten zehn Jahre ein, während denen keine Leistungen bezogen oder alle bezogenen Leistungen zurückbezahlt werden müssen. Demgegenüber besagt Art. 13 Abs. 4 der Kantonalen Bürgerrechtsverordnung (KBüV) allerdings, dass Leistungen der Sozialhilfe, die für minderjährige Familienmitglieder bezogen wurden, nicht im Sinne des obengenannten Artikels aus dem kantonalen Bürgerrechtsgesetzt berücksichtigt werden. D.h. der Sozialhilfebezug von Minderjährigen ist für das Einbürgerungsverfahren nicht relevant und darf deshalb auch nicht erhoben werden.

 

2. Hat die Gemeinde Nidau Pläne zur Erstellung eines Einbürgerungsreglements?

Nein, es bestehen derzeit keine Pläne.

 

3. Welche Einbürgerungskriterien dürfte die Gemeinde Nidau darin bestimmen, welche über die Bestimmungen von Bund und Kanton hinaus gehen d.h. diese ergänzen oder präzisieren? Ich verlange eine abschliessende Aufzählung aller theoretisch möglichen und zulässigen Kriterien.

Die Schweiz kennt ein dreistufiges Bürgerrecht. Jede Schweizerin und jeder Schweizer verfügt über ein Gemeindebürgerrecht, ein Kantonsbürgerrecht und das Schweizer Bürgerrecht. Daher ist auch das Einbürgerungsverfahren dreistufig. In einem ersten Schritt sichert die Gemeinde der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller das Gemeindebürgerrecht zu, daraufhin sichert der Kanton seinerseits das Kantonsbürgerrecht zu, worauf letztlich der Bund die Einbürgerungsbewilligung erteilt. Erst nach Ablauf dieses dreistufigen Verfahrens ist eine Einbürgerung vollzogen. Bund und Kanton regeln die Einbürgerungsvoraussetzungen sowie das Verfahren auf allen drei föderalen Stufen sehr detailliert.

Art. 19 KBüG schliesst im ordentlichen Einbürgerungsverfahren einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung aus. Somit kann die rechtsanwendende Behörde selbst bei Vorliegen aller Einbürgerungsvoraussetzungen nach KBüG bzw. BüG ein Einbürgerungsgesuch im Einzelfall abweisen. Eine «abschliessende Aufzählung» aller denkbaren Hinderungsgründe für eine ordentliche Einbürgerung ist demnach per se nicht möglich. Vielmehr können im Einzelfall ganz spezifische Gründe gegen die Gewährung des Bürgerrechts sprechen.

In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass allzu strenge Einbürgerungskriterien von der Verwaltungsjustiz – insbesondere vom Bundesgericht – nicht akzeptiert werden. Insbesondere können solche Kriterien die verfassungsmässigen Grundsätze wie das Verhältnismässigkeitsprinzip, das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot verletzen. Aufgrund der Verschärfung der Einbürgerungskriterien auf Bundesebene und auf kantonaler Ebene in den letzten Jahren ist der Spielraum für eigene (noch strengere) Kriterien der Gemeinden kleiner geworden.

In Bezug auf weiterführende Einbürgerungsvoraussetzungen, die in einem kommunalen Reglement geregelt werden könnten, ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Einbürgerung von Schweizerinnen und Schweizern (d.h. den Wechsel oder zusätzlichen Erwerb eines Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts) sowie der Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern.

Für die Einbürgerung von Schweizerinnen und Schweizer können in einem kommunalen Reglement folgende weitergehende Voraussetzungen festgelegt werden (vgl. Wegleitung des Kantons Bern BSIG Nr. 1/121.1/1.2):

  • Aus kantonaler Sicht genügt die enge Verbundenheit mit der Gemeinde, um als Schweizerin oder als Schweizer in einer Gemeinde eingebürgert bzw. eingeburgert werden zu können (Art. 5 Abs. 1 und 2 KBüV). Die Gemeinden können entsprechend auch Schweizerinnen und Schweizer einbürgern, die keinen Aufenthalt in der Gemeinde haben oder hatten, dafür aber auf andere Art und Weise eine enge Verbundenheit zur Gemeinde haben. In einem kommunalen Reglement kann zusätzlich der Aufenthalt in einer Gemeinde als Einbürgerungsvoraussetzung für Schweizerinnen und Schweizer festgelegt werden. Für Ausländerinnen und Ausländer ist dies ohnehin zwingende Voraussetzung.
  • Den Gemeinden steht es frei, neben der engen Verbundenheit weitere, d.h. zusätzliche, kommunale Voraussetzungen festzulegen. So kann in einem kommunalen Reglement für die Einbürgerung oder Einbürgerung von Schweizerinnen und Schweizer z.B. einen einwandfreien strafrechtlichen oder finanziellen Leumund als Voraussetzung festgelegt werden (Art. 6 Abs. 2 KBüG).

Hierzu ist anzuführen, dass die Einbürgerung von Schweizerinnen und Schweizern in der Praxis von untergeordneter Bedeutung ist.

Für die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländer können in einem kommunalen Reglement folgende weitergehende Voraussetzungen festgelegt werden (vgl. Wegleitung des Kantons Bern BSIG Nr. 1/121.1/1.2):

  • Beispielsweise können die Gemeinden in einem kommunalen Reglement vorsehen, dass nebst den definitiv veranlagten Steuerschulden auch die provisorischen Akonto-Steuerrechnungen fristgerecht zu bezahlen sind, um eingebürgert werden zu können.
  • Die Gemeinden können zudem in einem kommunalen Reglement vorsehen, dass bezüglich Verlustscheine längere Fristen für das Einbürgerungsverfahren relevant sind. Gemäss den übergeordneten Bestimmungen sind erledigte oder mehr als fünf Jahre alte Verlustscheine für das Einbürgerungsverfahren nicht mehr relevant (vgl. Art. 10 Abs. 2 KBüG).
  • Auch schulisches Verhalten (nicht aber die schulische Leistung) kann bei der Einbürgerung berücksichtigt werden. Beispielsweise könnte als Einbürgerungskriterium bei Minderjährigen das Nichtvorliegen von Disziplinarmassnahmen gemäss Art. 28 des Volksschulgesetzes bestimmt werden.
  • Zudem kann die Gemeinde durch ein kommunales Reglement die andere Amtssprache des Kantons Bern zulassen. Dies ist in Nidau allerdings ohnehin der Fall, da die Sprachen des Verwaltungskreises massgebend sind.

Als Beispiel für ein kommunales Einbürgerungsreglement im Kanton Bern kann das Einbürgerungsreglement der Gemeinde Zollikofen genannt werden, welches den Handlungsspielraum exemplarisch aufzeigt. In Art. 2 legt das kommunale Reglement zusätzliche Einbürgerungsvoraussetzungen für Schweizerinnen und Schweizer fest, namentlich einen ununterbrochenen Aufenthalt in der Gemeinde von mindestens zwei Jahren - analog der Bestimmung für Ausländerinnen und Ausländern - sowie weitere Voraussetzungen bezüglich des strafrechtlichen und finanziellen Leumunds. Als weitergehende Einbürgerungsvoraussetzungen für die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern legt das kommunale Reglement der Gemeinde Zollikofen in Art. 3 einzig die oben erwähnte Bestimmung fest, wonach ein Nachweis zu erbringen ist, dass nebst den definitiv veranlagten Steuern auch die provisorischen Akonto-Steuerrechnungen fristgerecht beglichen sein müssen.

In dem vom Interpellanten erwähnten Beispiel Aarberg, beabsichtigte der Gemeinderat mit einem Einbürgerungsreglement eine Verschärfung der Einbürgerungskriterien. Die geplanten Verschärfungen gingen der Gemeindeversammlung allerdings zu weit, weshalb das Einbürgerungsreglement zurückgewiesen wurde und der Gemeinderat anschliessend gänzlich auf die Ausarbeitung eines Einbürgerungsreglements verzichtete. Gegenstand des Reglements war auch in diesem Beispiel die zusätzliche Regelung, dass neben den definitiv veranlagten Steuern auch die provisorischen Akonto-Steuerrechnungen beglichen sein müssen. Zusätzlich sah das geplante Reglement ein erforderliches Sprachniveau auf Maturniveau vor, was von der Gemeindeversammlung als unverhältnismässig erachtet wurde. Zudem ist zu bemerken, dass in der Wegleitung des Kantons in Bezug auf die Rechtsetzungskompetenz der Gemeinden in Sachen Sprachnachweis einzig die Möglichkeit aufgeführt ist, in einem kommunalen Reglement auch die andere Amtssprache des Kantons Bern zuzulassen (Art. 12 Abs. 1 Bst. d KBüG). Ein Einbürgerungskriterium, wonach der Gesuchsteller ein Sprachniveau auf Maturniveau aufweisen können muss, würde von der Justiz mit grosser Wahrscheinlichkeit als verfassungs- und damit bundesrechtswidrig angesehen werden.

Als weiteres Beispiel hat das Parlament der Stadt Bern mit Beschluss vom 10. Dezember 2020 ein totalrevidiertes Einbürgerungsreglement verabschiedet. Dieses kommunale Reglement legt fest, dass in der Stadt Bern neu auch ein Sprachnachweis in Französisch anerkannt wird. Die Stadt Bern macht somit von der oben erwähnten Möglichkeit Gebrauch. Zudem legt die Stadt Bern in ihrem Einbürgerungsreglement die Gebühren für die Gesuchsbearbeitung fest, welche die Stadt Nidau jedoch im Gebührenreglement festlegt. Weitergehende Einbürgerungsvoraussetzungen für Ausländerinnen und Ausländer sind im Einbürgerungsreglement der Stadt Bern nicht enthalten.

 

4. Welche sicherheitstechnischen Schritte könnten bei der Behandlung eines Einbürgerungsgesuchs vorgenommen werden, die über einen Strafregisterauszug hinaus gehen? Beispielsweise eine Rückfrage beim Schweizerischen Nachrichtendienst oder die Einforderung von vergangenen Strafregisterauszügen (verjährte Straftaten)?

Die Stadt Nidau überprüft via Zivilstands- und Bürgerrechtsdienst des Kantons Bern nach Gesucheinreichung, ob die gesuchstellende Person im Strafregister-Informationssystem VOSTRA verzeichnet ist. Zudem erfolgt nach der Zusicherung des Gemeindebürgerrechts die Überprüfung zur inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz durch das Staatssekretariat für Migration (SEM).

Über verjährte Straftaten wird die Gemeinde keine Auskunft erhalten. Weit zurückliegende und wenig gravierende Straftaten wird die Gemeinde demnach nicht ausfindig machen können. Diese dürften bei der Beurteilung des Einbürgerungsgesuchs aber ohnehin nicht berücksichtigt werden.

 

5. Welche interkommunalen Prozesse werden angewendet (und könnten verbessert werden), um Infos zu Personen einzuholen, die erst seit Kurzem in Nidau wohnen und die Mindestaufhaltdauer in der Gemeinde nur knapp erfüllen (Informationsaustausch bei der/den letzten Wohngemeinde/n der gesuchstellenden Person, etwa über auffällig positive/negative Erfahrungen)?

Die Gemeinde ist während des Verfahrens auch ohne Zustimmung/Ermächtigung der gesuchstellenden Person befugt, mit begründeter Anfrage bei anderen kantonalen, ausserkantonalen und kommunalen Stellen die Informationen einzuholen, die sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe benötigt (Art. 25 Abs. 3 KBüG und Art. 45 Abs. 2 BüG). Dies gilt auch für besonders schützenswerte Personendaten.

Ein Nachfragen bei der früheren Wohnsitzgemeinde erscheint aber nur dann angezeigt, wenn der Gesuchsteller die Mindestaufenthaltsdauer in der Stadt Nidau nur knapp erfüllt. Weit zurück liegendes Fehlverhalten in der früheren Wohnsitzgemeinde dürfte die Stadt Nidau bei der Beurteilung des Einbürgerungsgesuchs nicht berücksichtigen.

Vorstoss im Original

Vorstoss im Original
Typ Titel Bearbeitet
Datei PDF document I 135 Einbürgerungskriterien und Handlungsspielraum für Gemeinden 03.12.2020

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